Warum verkaufen Frauen ihren Körper?
Blogautor:
Helene Aecherli
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Die Diskussion um die Prostitution läuft auf allen Kanälen. Denn Prostitution ist wie Fussball: Mitreden kann jeder. Es bleiben aber noch ein paar Fragen. Etwa die: Warum sind Frauen überhaupt bereit, ihren Körper zu verkaufen?
Klar, wirtschaftliche Not ist der grundlegende Motivationsfaktor: Wenn ich mit dem, was ich bin und kann kaum Chancen habe, auf einen anständig grünen Zweig zu kommen, um mich und meine Kinder am Leben zu halten, verkaufe ich halt meinen Körper. Fertig. Das ist nachvollziehbar. Und ganz ehrlich: Ginge es hart auf hart, ich meine, wirklich hart auf hart: Wer würde es sich nicht zumindest überlegen, aus seinen primären Geschlechtsmerkmalen Kapital zu schlagen?
Aber – bei meinen Recherchen für die Freier-Reportage begegnete ich Jasmin. Ich sass auf dem Sofa im Entrée des Saunaclubs, sie kam aus der Umkleidekabine und liess sich neben mir nieder. Jasmin begrüsste mich auf Deutsch, sie sei aus Essen, sagte sie. Sie trug nur ein Paar glitzernde High Heels, sonst war sie nackt, denn an jenem Tag war FKK-Tag. Scheu betrachtete ich ihr Gesicht und ihren Körper, merkwürdig berührt von ihrer Nacktheit, die sie mit fast herablassender Selbstverständlichkeit zur Schau stellte. Sie war eine bildschöne junge Frau, grossgewachsen, gertenschlank ohne dünn zu sein, hatte lange, kastanienbraune Haare, ein perfekt gemeisseltes Gesicht. Sie hätte eine Kandidatin für Modelcastingshows sein können oder fest verankert in Modeldatenbanken, buchbar für die Laufstege in Mailand, Paris oder New York. Warum bloss lief sie hier, im Saunaclub, im Defilée der Prostituierten?
“Warum bist du hier?”, entfuhr es mir. “Mit deiner Schönheit solltest du die Titelseite zieren, nicht aber die Betten eines Saunaclubs.” Jasmin lächelte geschmeichelt. Sie habe in Deutschland europäisches Gesundheitswesen studiert, erzählte sie, und danach so wenig verdient, dass sie es ihr vorkam, als würde sie ihr Wissen prostituieren. Da prostituiere sie lieber ihren Körper. Das tue ihr weniger weh, ausserdem gebe es mehr Geld. Sie sagte dies mit einem pragmatischen, wenn auch ein bisschen eigensinnigen Unterton, so, als wollte sie sich rechtfertigen, denn ich muss unwillkürlich den Kopf geschüttelt haben. Ich war nahe daran, ihr in einem Anflug mütterlicher Bestürzung zu kontern, dass sie sich halt hätte einige Jahre durchbeissen müssen, oder dann irgendetwas anderes tun, sie mit ihrer Ausbildung und ihrem Aussehen hätte doch alle Chancen gehabt, alle. Welch Verschwendung, sich hier an Männer zu verkaufen.
Doch ich sagte nichts. Denn Jasmin nickte mir nur noch kurz zu. Dann stand sie auf. Es war Zeit für sie zu gehen.
Jasmin geht mir bis heute nicht aus dem Kopf. Warum verkaufen Frauen wie Jasmin ihren Körper? Ist es tatsächlich bloss nackte Geldgier? Die Lust auf die neuste Prada-Tasche? Ist es Phantasielosigkeit? Ein Buhlen um Bestätigung, um Anerkennung, die sie sonst nicht zu bekommen glauben? Ist es ein Ausdruck von Selbsthass (eine Sexualtherapeutin erklärte mir mal in einem Interview, je geringer sich eine Frau achte, desto mehr lasse sie “unten” rein)? Oder: Ist es gar eine verquere Form der Machtausübung? “Ich weiss, was du willst, und ich gebe dir, was du brauchst, wenn du mich dafür bezahlst”? Und angenommen, es wäre ein Machtmittel, würde Prostitution dann nicht schon in den gutbürgerlichen Schafzimmern gutbürgerlicher Paaren anfangen?
Eine Freundin verriet mir bei einem Prosecco-triefenden Abend, dass sie mit ihrem Mann geschlafen habe, nachdem er endlich aus freien Stücken den Abfallsack nach unten gebracht hätte. Eine andere doppelte nach, dass sie ihren Partner mit Sexentzug dazu bringen wolle, mit Rauchen aufzuhören. Und irgendwann rückte eine dritte heraus, dass sie solange nicht mehr mit ihrem Mann schlafen würde, bis er einwillige, jeden zweiten Samstagnachmittag im Monat auf die Kinder aufzupassen.
Klar, nichts stinkt so sehr, wie kalter Rauch, und kaum etwas ist so abturnend, wie wenn er nicht im Haushalt mithilft. Und so lange beide noch am Sex miteinander interessiert sind, kann Sex eine wunderbare Verhandlungsgrundlage sein.
Doch bleibt die Frage: Ist dies nun schon eine Form der Prostitution, oder nicht? Und wenn ja, warum verkaufen Frauen ihren Körper?