Gestohlen, gequält, geschlachtet – über 100 000 Hunde sterben jedes Jahr im Trade of Shame
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martina monti
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Da glaubt man, nach ein paar Jahren im und für den Tierschutz so ziemlich alles gesehen zu haben, was man Hunden antut, um mit ihnen ein Geschäft zu machen. Und dann erfährt man vom “Trade of Shame”, dem Handel der Schande, dem in Thailand jährlich über 100‘000 Hunde zum Opfer fallen. Strassenhunde, aber auch Hunde, die ein Zuhause haben. Ein Teil bleibt in Thailand und wird wegen des Fells geschlachtet, in manchen Regionen auch wegen des Fleisches.
Bis zu 1600 Hunde werden pro Truck an den vietnamesischen Schlachter geliefert
Der grösste Anteil jedoch wird via Laos nach Vietnam geschmuggelt, ein wahrer Höllentrip: Die Hunde werden in Drahtkäfige gepfercht, sind tagelang ohne Wasser und Futter, manchmal 50, manchmal bis zu 1000 Tiere pro Truck. Nach der Überquerung des Flusses Mekong werden die Hunde auf grössere Trucks verladen, an die 1600 sind es am Ende, die ein Lastwagen ans Ziel bringt. Viele Tiere überleben die Tortur nicht, sie ersticken, sterben an Verletzungen, Durst. Diese Hunde haben Glück. Denen, die mehr oder weniger lebend kommen, wird der Magen “gestopft”, damit sie mehr wiegen, also: mehr Geld bringen im Verkauf. Unfassbarer Höhepunkt der Quälerei ist jedoch die Schlachtung: Weil das Stresshormon Adrenalin angeblich das Fleisch zarter macht, werden die Hunde zunächst gequält und dann lebendig gekocht. All das unter den Augen der Hunde, die als nächste dieses Schicksal erleiden werden, kaum vorstellbar, unter welchem Stress, unter welchen Schmerzen diese Tiere zu leiden haben, bevor sie endlich, endlich erlöst werden.
Nur Haut und Knochen – selbst Hunde am Rand des Todes werden von den Fängern eingesackt
All das ist illegal. Und eine der dunklen Seiten eines sonnenverwöhnten Landes, in dem wir gerne Ferien machen. Eine unbekannte dunkle Seite.
Aber das soll sich ändern. Gemeinsam mit anderen Tierschutzorganisationen hat sich die thailändische Soi Dog Foundation dem Kampf gegen diesen grausamen Handel verschrieben. Aufklärung auf internationaler Ebene gehört ebenso zu den Massnahmen wie Razzien in Zusammenarbeit mit der Polizei und die Beschlagnahmung ganzer Lastwagen von Hunden und deren Unterbringung in Auffanglagern. Esther Geisser, die Präsidentin und Gründerin des schweizerischen Network for Animal Protection (NetAP), ist von Soi Dog zur Kampagnenleiterin Europa ernannt worden. Sie hat mich auf den “Trade of Shame” aufmerksam gemacht, der zunehmend auch Menschen in Gefahr bringt, wie sie mir im folgenden Gespräch erzählte.
Viele Hunde überleben bereits die Tortur des Transports nicht – das ist ihr Glück
Vorher noch eine Bemerkung in eigener Sache: Ich habe mich kaum je so schwer getan, Bilder für einen Post durchzusehen, jedes einzelne von ihnen, das die Hunde vor der Befreiung zeigt, ist das Dokument grössten Leids. Und ich habe lange überlegt, ob ich das Video in den Beitrag einstellen soll. Ich habe mich dafür entschieden, weil es eine Realität zeigt, mit der sich die Tierschützer in Thailand auseinandersetzen müssen und von der wir wissen sollten. Trotzdem der Hinweis, dass dieses Video zum Teil schwer Erträgliches zeigt.
Esther, du warst im März in der Umgebung von Ban Tha Rae, einem Ort in der nordöstlich gelegenen Provinz Sakon Nakhon unterwegs – unter Polizeischutz. Wieso war der nötig?
Ban Tha Rae ist die Hochburg des Handels mit Hundefleisch. Und seit Tierschützer mit Unterstützung der Polizei versuchen, diesen Handel zu stoppen, sind die Händler auf uns nicht gut zu sprechen. Es geht schliesslich um ein Millionengeschäft.
Der Tod durch Ersticken ist qualvoll und das Sterben dauert lang
NetAP spricht sogar von einer regelrechten Multi-Millionen-Dollar-Industrie. Wer sind die Profiteure und welcher Markt wird bedient?
Die Profiteure sind einerseits die Hundefänger und Schmuggler, sie erhalten von den vietnamesischen Händlern an die 34 Franken pro Hund. Auch die Landeigentümer, auf deren Boden die Hunde bis zum Transport über die Grenze versteckt werden, verdienen. Das dicke Geschäft aber machen die Händler dann in Vietnam. Hier gilt Hundefleisch als Luxusprodukt. Entsprechend wird ein Vielfaches des Einkaufspreises erzielt. Und natürlich fliessen auch in diesem schmutzigen Geschäft Schmiergelder.
Es ist von mehreren Tausend Hunden pro Woche die Rede, die den Fängern in die Hände geraten. Woher kommen all diese Hunde?
Fängerbanden sind im ganzen Land unterwegs und die machen keinen Unterschied zwischen Strassenhund und Haushund. Im Gegenteil: Weil die menschengewöhnten Haushunde so zutraulich sind, sind sie eine bequeme Beute, da sie meist im Freien gehalten werden. Die Hunde werden in der Regel auf Bestellung eingesammelt und an einem versteckten Ort gehalten bis genügend Tiere beieinander sind, die dann in die Drahtkäfige gestopft werden. Ohne Wasser, ohne Futter und ohne auch nur einen Millimeter Bewegungsspielraum, die Exkremente aus den oberen Käfigen fallen auf die Hunde in den unteren, die Tiere leiden unsäglich unter der grosser Hitze oder dem strömenden Regen. Ausser den körperlichen Qualen sind die Tiere durch die erzwungene Nähe zu fremden Artgenossen einem unfassbaren Dauerstress ausgesetzt. Am Mekong, dem Grenzfluss zu Laos, warten die vietnamesischen Käufer, sie nehmen nur die profitablen kräftigen Tiere, die Schwachen werden von den thailändischen Schlächtern getötet und auf dem lokalen Markt verkauft. Die Hölle der andern endet nach einer “geschmacksverfeinernden” Quälerei in einem Kochtopf, in den sie oft noch lebend geworfen werden.
Schlachtabfall. Esther Geisser: “Kopf, Pfoten … Es ist fast nicht zum Aushalten. Noch schlimmer war aber der Anblick der spielenden Hunde in Ban Tha Rae und das Wissen, dass sie die nächsten sein werden. Und ich konnte sie nicht mitnehmen.”
In Thailand sind das Schlachten von Hunden und der Handel mit Hundefleisch illegal. Wie ist es dann möglich, dass aus dieser unsäglichen Tierquälerei ein blühendes Geschäft geworden ist?
Die Illegalität leitet sich nicht von einem Tierschutzgesetz ab, sondern von zum Schutz des Menschen bestimmten Gesetzen im Bereich Gesundheit und Lebensmittelkontrolle. So braucht ein Schlachter beispielsweise eine Bewilligung, um Tiere zu schlachten. Es ist aber de facto nicht möglich, in Thailand eine Bewilligung zur Schlachtung von Hunden zu bekommen. Für eine Ausfuhr müssten diverse Papiere vorliegen, was aber aus nahe liegenden Gründen nie der Fall ist. Selbst innerhalb Thailands bräuchte es Papiere, um die Tiere von einer Region in eine andere transportieren zu dürfen. Schliesslich werden diese Papiere nur ausgestellt, wenn die erforderlichen Impfungen der Hunde vorliegen. Und wie bereits erwähnt, werden sehr oft private Hunde gefangen, was auch in Thailand als Diebstahl gilt.
Dem Schlachter entkommen wartet dieser kleine Kerl in einem Lager auf eine bessere Zukunft
Heisst das, die Behörden bleiben untätig?
Nein, das können sie sich auch nicht leisten, denn mit Ausnahme von der Provinz Sakon Nakhon ist der Verzehr von Hundefleisch in Thailand verpönt. Als 2011 bei einer ersten grossen Razzia 1800 Hunde beschlagnahmt wurden und die Medien zum ersten Mal über den Handel berichteten, da war das ganze Land schockiert. Seither finden jeden Monat Razzien statt, allein während meines Aufenthaltes im März wurden über 1000 Hunde befreit und in Auffanglagern untergebracht. Aber die Behörden handeln nur reaktiv. Und sie sind mit der ganzen Problematik überfordert. Nicht zuletzt, was die Auffanglager und die Pflege der beschlagnahmten Tiere angeht.
Pickup mit Fracht, der bei einer nächtlichen Razzia beschlagnahmt wurde
Was muss man sich unter diesen Auffanglagern vorstellen, handelt es sich dabei um eine Art Tierheim? Und was geschieht hier mit den beschlagnahmten Hunden?
Die Lager waren ursprünglich für Kühe und Schweine gedacht, für die Haltung von Hunden sind sie nicht eingerichtet. Teilweise hat es noch nicht einmal richtige Dächer, und die Tiere sind Hitze und Dauerregen schutzlos ausgeliefert, nach 40 Grad Hitze regnet es häufig, und das dann ergiebig und rund um die Uhr. Viele Tiere sterben in der Folge an Lungenentzündung. Oder an Staupe. Tollwut ist ebenfalls ein Risiko. Entsprechend werden die Hunde erst einmal medizinisch versorgt und geimpft. Und dann selbstverständlich kastriert.
Das Lager in Khemmarat gehört zu den besser ausgerüsteten: Es verfügt über ein Dach
Wie sieht die Zukunft dieser Hunde aus?
Viele der beschlagnahmten Hunde sind bereits tödlich erkrankt oder so schwer verletzt, dass sie sterben. Der grosse Teil derer, die überleben, werden wohl den Rest ihres Lebens im Lager verbringen müssen. Das entspricht zwar nicht unserer westlichen Vorstellung eines lohnenswerten Lebens, ist aber trotz allem all die Mühe wert angesichts der Hölle, die jenseits des Mekong auf sie wartet. Einige wenige finden in Thailand oder durch Adoption im Ausland ein neues Zuhause. Das sind die schönsten Momente in diesem ganzen Kampf. Ganz klar aber sind diese Lager nur eine Notlösung. Das eigentliche Ziel unseres Einsatzes besteht in der Beendigung des „Trade of Shame“.
Dieser Hund wurde seiner Familie gestohlen. Damit er eine Chance auf eine Rückkehr nach Hause hat, werden alle Hunde mit Halsband fotografiert und die Bilder veröffentlicht. Nun hat die asiatische Fluggesellschaft Nok Air versprochen, jeden Hund aus einer der Auffangstationen in Thailand kostenlos an jeden Zielflughafen in Thailand zu fliegen. Das gilt auch für alle Hunde, die neu vermittelt werden, so erhöhen sich die Chancen auf ein neues Zuhause. Denn viele Thailänder können sich die Reisekosten nicht leisten.
Wie nah sind Soi Dog und NetAP diesem Ziel aktuell?
Derzeit wollen die Behörden keine Gelder sprechen, kein Futter und keine Tierärzte zur Verfügung stellen. Und wir Tierschützer sollen unsere Aktivitäten stoppen. Am liebsten wäre es wohl den Politikern und der Polizei, wenn die ganze Angelegenheit in der Öffentlichkeit vergessen ginge. Wenn aber die Tierschutzorganisationen nicht in der Lage sind, die beschlagnahmten Hunde zu versorgen, werden in Zukunft keine illegalen Hundetransporte mehr gestoppt bzw. keine Tiere mehr gerettet werden können. Darauf spekulieren die Händler. Die finanziellen Mittel der Tierschützer sind bald erschöpft. Ohne internationale Hilfe kann den Tieren nicht mehr geholfen werden.
Das klingt dramatisch. Was können die Tierschutzorganisationen überhaupt ausrichten, damit nicht nur die Symptome bekämpft werden, sondern wirksam gegen den illegalen Handel vorgegangen wird?
Dass die Behörden diesen Skandal totschweigen wollen, ist unsere Chance: Wir versuchen, möglichst viel Aufmerksamkeit auf den Handel zu lenken, im Inland wie im Ausland. Thailand ist ein beliebtes Urlaubsziel und der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle des Landes. Und kein Politiker kann sich leisten, die zu gefährden. Je mehr Druck ausgeübt wird im Land selber und international, desto eher wird die Regierung gezwungen, die geltenden Gesetze endlich zu vollziehen.
Der kleine Kerl hatte Glück im Unglück, er wird medizinisch versorgt und kastriert in einem Lager in Nakhom Phanom leben
Soi Dog und NetAP haben hierzu online eine Petition lanciert. Steht der inflationäre Einsatz solcher Online-Petitionen in irgendeinem Verhältnis zu ihrer Wirksamkeit?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass es zu viele Online-Petitionen gibt, was dazu führt, dass die Menschen petitionsmüde werden. Deshalb muss man Petitionen gezielt einsetzen. Wenn man aber dran bleibt und internationale Unterstützung erhält, dann kann eine Petition auch wahre Wunder bewirken. Aber es darf nicht die einzige Massnahme einer Kampagne bleiben.
Als eine weitere Massnahme dreht Soi Dog derzeit einen Film über den illegalen Handel mit Hundefleisch, “Shadow Trade – The Price of Loyalty”. Wird man sich diesen Film über die unerträgliche Qual der Hunde überhaupt ansehen können?
Viele schlimme Bilder wurden bewusst wieder rausgeschnitten. Was aber nur ein Film leisten kann, ist, die Zusammenhänge und die Korruption dieses Handels aufzuzeigen. “Shadow Trade” schockiert weniger durch die Bilder als durch das Aufzeigen des ganzen Ausmasses dieses Dramas.
Die Profiteure des illegalen Handels halten aber wohl kaum freiwillig ihr Gesicht in die Kamera.
Das nicht, aber wir arbeiten vor Ort zum Teil mit Undercover-Leuten, die in den Handeln eingeschleust werden. Durch sie bekommen wir auch Tipps, die wir an die Polizei weitergeben, damit Razzien durchgeführt und Beschlagnahmungen vorgenommen werden können.
NetAP-Präsidentin Esther Geisser macht sich regelmässig selbst ein Bild der Situation vor Ort
Wie kann man die Arbeit von Soi Dog und NetAP vom Ausland, also z.B. der Schweiz aus, sinnvoll unterstützen?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Alle News und Infos unserer Aktionen gegen den „Trade of Shame“ auf Facebook liken und teilen. Freiwilligenarbeit ist ein weiterer Weg, uns zu helfen, es werden immer wieder Menschen gebraucht, die uns bei Aktionen und in unserer Informationsarbeit unterstützen. Dann natürlich: Die Online-Petition unterschreiben, ausserdem hilft es uns, wenn möglichste viele persönliche Schreiben an die Konsulate und Botschaften Thailands geschickt werden. Und: Geld spenden für unsere Arbeit vor Ort. Vor alle für Futter, die Futterkosten für die geretteten Hunde belaufen sich auf 30 000 Franken pro Monat. Aber auch für bauliche Verbesserungen wie Dächer, für die Einsatzkräfte an der Front wie z.B. die Undercover-Mitarbeiter sowie die Kastrationen, Impfungen und Medikamente leistet jeder gespendete Franken grosse Dienste. Detaillierte Infos über Hilfsmöglichkeiten haben wir auf einer NetAP-Seite aufgeführt.
Kann man trotz des “Trade of Shame” noch guten Gewissens nach Thailand reisen?
Thailand verfügt über eine phantastische Natur: Ursprünglicher Dschungel, eindrückliche Gebirge, traumhafte Strände, grossartige Tierwelt. Und die Menschen dort sind gastfreundlich und aufgeschlossen. Kein Wunder, dass die Touristen das Land lieben. Und für die Strassenhunde tut schon einiges, wer sich an ein, zwei Regeln hält. Momentan ist eine Thailandreise keine Gewissensfrage. Sollte sich die Regierung Thailands aber weiterhin weigern, ihre eigenen Gesetze anzuwenden, dann könnte ein zielgerichteter Boykott sicherlich wirksamen Druck ausüben.
Die Juristin Esther Geisser ist Gründerin und Präsidentin des Networks for Animal Protection.
P.S. 10.Mai: Update zur Trade-of-Shame-Petition von der Soi Dog Foundation: “Bisher haben mehr als 96 000 Menschen die Petition gegen den illegalen Handel mit Hundefleisch in Thailand unterzeichnet. Ein erster Erfolg – aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Daher: Bitte helfen Sie uns mit Ihrer Stimme, dass das Gesetz in Thailand zur Anwendung kommt und der illegale, furchtbare Handel mit Hunden gestoppt wird! Teilen Sie die Petition auf Facebook, machen Sie den Trade of Shame publik. Wir danken Ihnen von Herzen im Namen der Hunde.”