Herzmomente 2014: Sag beim Abschied leise “Zwetschge” …
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martina monti
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Eigentlich ist jeder Tag im Pfötli für mich per se ein Highlight. Wegen der Tiere und der Menschen, mit denen ich es hier zu tun habe. Aus den 52 Highlights drei rauszusuchen für meinen kleinen persönlichen Rückblick auf 2014, das war gar nicht so einfach. Insofern hier meine Auswahl, die auch komplett anders hätte ausfallen können. Das gilt auch für die Reihenfolge. Wobei … nein, nicht ganz. Die Nummer eins ist eine ganz klare Nummer eins. Nach dem kleinen Yoda, jetzt der riesige Heini. Sag beim Abschied leise “Zwetschge” ….
Kennt ihr das, ihr habt eine Vorliebe für eine ganz besondere Sorte Tier – zum Beispiel Neonfische. Neonfische verkörpern in Eleganz und Farbigkeit alles, was ihr euch unter tierischer Schönheit vorzustellen vermögt, sie sind perfekt in Grösse und Schwimmtechnik, und euer grösster Traum ist es, einmal in einem Schwarm Neonfische den Amazonas rauf- und runterzuschwimmen. Und dann begegnet ihr einem adipösen Känguruh und – bamm! Obwohl das adipöse Känguruh nicht eine einzige der wunderbaren Eigenschaften der Neonfische besitzt, und schon gar nicht in Schwärmen im Amazonas anzutreffen ist, bamm!, seid ihr von ihm absolut fasziniert.
Oder anders ausgedrückt: Der Moment, in dem euer privater “Sexiest Man Alive” in euren Träumen ernsthaft Konkurrenz von Nick Frost bekommt, das ist der verschmuddelt-pummelige Dauerpubertierer aus “Shaun of the Dead”, siehe unten rechts.
Simon Pegg und Nick Frost in der Szene, in der sie feststellen müssen, dass die Blondine in ihrem Garten weniger besoffen als vielmehr untot ist.
Ungefähr so erging es mir mit Heini: Ich lebte ein glückliches Pfötlileben unter Hunden – und dann war da plötzlich dieses riesige Schwein. Bamm!
Von Haus aus ist Heini – der offiziell Heiri hiess – ein derer zu Edelschwein. Die Jungs dieser Bauart erreichen eine Höhe von bis zu 85 cm und wiegen so an die 350 Kilo. Sie gelten zwar nicht als die üppigsten Fleischlieferanten, haben dafür aber Nerven wie Drahtseile. Stress? Kennen sie nicht. Machen sie eher.
Und so war das auch mit Heini. Der latschte bei seiner Ankunft seelenruhig der Futterschüssel hinterher und nahm sein Gehege in Besitz. Von da an galt das Territorium als annektiert, Heini als der uneingeschränkte Herrscher mit der Lizenz zur Tyrannei. Erst recht nachdem Meiti, seine Minipig-Gefährtin, nach einem Kurzaufenthalt bei uns an einen neuen Platz vermittelt worden war. Gemeinsam mit Big Boy Heini. Aber der kam nach kurzer Zeit wieder zu uns zurück. Mit seinen Manieren hatte es ein Problem gegeben. Hiess es.
Es grünte so grün im Schweinegehege, als Heini und Meiti einzogen. Man beachte bitte Heinis riesige Stehlauscher, ein Markenzeichen des Edekschweins.
Erstaunlich wäre das jedenfalls nicht gewesen. Heinis Verhalten war grösstenteils unter aller – nunja – Sau, er war selbstverliebt, ein Macker und unglaublicher Rüpel, ungepflegt, ohne Benimm und körperlich bis zur Schmerzgrenze – und darüber hinaus. Der Typ Mann halt, der bei Partnervermittlungsagenturen als Karteileiche enden würde. Wenn er nicht auch diesen rauhen Charme gehabt hätte und von einer fröhlich-frivolen Klugheit gewesen wäre, über die wir Heini-Pfleger nicht anders konnten als grinsen. Dieses Schwein war einfach ein cooler Hund. Und es hatte für mich etwas von Heinrich VIII, dem englischen König, der von 1509 bis 1547 England regierte, und den seine Freunde bestimmt auch Heini nennen durften. Bevor der nämlich zornig und schwer krank bei 160 Kilo Lebendgewicht dahinalterte, war er ein stattlich-sportlicher Monarch, gebildet, klug und sehr unterhaltsam. Nun gut, das mögen mindestens zwei seiner insgesamt sechs Ehefrauen anders gesehen haben, von ihnen liess er sich auf dem Schafott scheiden. Vielleicht hatten sie nicht über seine Witze gelacht.
Jedenfalls freute ich mich immer auf das edle Borstenvieh, und spätestens, wenn ich mit der Schubkarre voll duftendem Heu, frischem Haferstroh, Gemüseschüssel und Schweinefutterpampeneimer auftauchte, war die Freude gegenseitig: Heini schnappte förmlich über, sprintete mit seinen Riesenlauschern im Wind flatternd am Zaun hin und her und quiekte in einer Lautstärke, dass die Sittiche in der Voliere mit einem Migräneanfall von der Stange zu kippen drohten. Rückte ich nicht schnell genug mit dem Futter raus oder war er mit dem Zusammensammeln der Fressalien schneller als ich mit Ausmisten, Wassertrog füllen und Strohbett im Stall aufschütteln, dann stellte mich das Schwein und bedrängte mich hemmungslos bis ich die Reserveäpfel rausgerückt hatte, gegen die ich bei Heini freies Geleit und ein verletzungsfreies Verlassen des Geheges eintauschte. Bis zur Erfindung der Reserveäpfel hatte Heini seinen Frust über das Versiegen der Futterquelle gerne an mir ausgelassen. Er meinte das sicher nicht böse. Aber 350 aufgebrachte Kilo, an deren Vorderseite ein nussknackfähiges Gebiss mit zwei Hauern befestigt war – das war schon rein physikalisch keine zu schonendem Umgang befähigte Zusammenstellung. Und mir reichte es bereits, wenn er mir mit seinem Fuss, also mindestens 80 Kilo, auf meinem stand. Was dann passierte, wenn er versuchte, seinen Plünderrüssel in meine Hundekeksbauchtasche zu versenken. Also praktisch jedes Mal. Nur – das war alles im nächsten Augenblick vergessen und verziehen. Denn andererseits war dieses Schwein das zarteste Lämmchen, wenn man ihm den Rücken schubberte während es vor sich hinschmatzte, und wenn ich ihm zum Abschied auf den Hinterschinken klatschte, dann spürte ich den Staub unter seinen Borsten und ein tiefes Gefühl der Zuneigung und Freundschaft.
Dann war Meiti weg und das Gras nicht mehr grün, sondern verschwunden. Regnete es mal einen Tag lang, verwandelte sich das ganze Gehege in eine Schweinesuhle, derern sumpfigem Erdtonus hin und wieder auch mal ein Gummistiefel zum Opfer fiel.
Und das war auch das Problem. Denn Heini hatte zwar ausreichend Fans, aber er war nach Meitis Auszug ohne schweinische Gesellschaft, das konnte selbstverständlich nicht so weitergehen. Ausserdem hatte es Heini mit der Zeit geschafft, sein Gehege bis in den hintersten Winkel umzupflügen und alles so niederzutrampeln, dass dort kein Gras mehr wuchs. Kein Schwein wohnte so.
Die Suche nach einem diesem edlen Schwein angemessenen, neuen Zuhause gestaltete sich naturgemäss etwas schwierig. Erforderlich waren ausreichend Platz und andere Schweineindividuen, die darüber hinaus bereit und nervlich in der Lage waren, unseren König Heinrich in ihrer Mitte aufzunehmen. Aber wer das Pfötli kennt, weiss, wir lassen nicht locker und finden, was unsere Schützlinge brauchen. So stand dann im Spätsommer der zweite Herzensmoment des Jahres an: Unsere letzte Fütterung, und aus gegebenem Anlass wurde dann auch noch ein Dessert serviert – frischgepflückte Pfötliflaumen.
Definitiv Bio und frisch vom Zweig: Die königlichen Abschiedspflaumen aus dem Pfötligarten.
Und die bekam Seine Speckwürden von mir per Handfütterung kredenzt. Für Heini Gelegenheit, noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er Geduld für eine der am meisten überschätzten Fähigkeiten hält. Ebenso wie Tischmanieren. Auch klar ist: der Zaun wird diesem Schwein keine Träne nachweinen.
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